# Radio Irrtum! 2025/09 – Doctor in da house [Alex] [Intro] Ihr hört ganz richtig! Diese Sendung nennt sich Radio Irrtum!, mein Name ist Herr Irrtum! – all das spielt auf Alex Berlin - und ich muss jetzt erstmal noch was nachholen von meiner letzten Sendung. Treue Hörer:innen mögen sich erinnern – da ging es um die Wurzeln der Neuen Deutschen Welle, aber eben nicht um die musikindustrielle NDW selbst. Und ich war hin und her gerissen. Sollte ich in dieser Sendung die Band „Front“ spielen oder nicht? Die waren zum einen sehr geheimnisvoll, die hatten nicht mal _ein_ Album, tauchten nur kurz auf und dann wieder unter – und in der Zeit, als sie sichtbar waren, spielten sie sogar als Vorband von Abwärts. Das alles passierte 1981, als die echte NDW bereits an Fahrt gewann. Und Front, die waren irgendwie parallel dabei. Die waren weder NDW noch kann man sie zu der überaus anarchistischen Pre-NDW Bewegung oder zu Punk zählen. Die machten eine Art verwavten Postpunk mit Dub Einflüssen. Oder wollten das jedenfalls – und dabei kam etwas sehr Eigenes, Spezielles raus. Ihr bekanntester Track von damals, mit einem phänomenalen Video für diese Zeit und sehr, ich sag mal, erwachsenen Inhalten, das war „Polaroid“. Und ich hätte es fast verpasst – aber dieses Jahr hat ausgerechnet Andreas Dorau, der übrigens schon damals, 1981 mit den Leuten von Front befreundet war, also jemand, dem die meisten so einen knallharten Sound gar nicht zutrauen würden, der hat Polaroid jetzt, 2025, geremixed! Zusammen mit Michael Heinkel – auch eine interessante Personalie. Und da hören wir mal rein: **01. Front: Polaroid (Andreas Dorau & Michael Heinkel 146 bpm Mix) | Polaroid Remixed [S]** ↑↑↑ Was für ein Remix. Das Original von 1981 ist schon gut, aber das hier ist besser – ohne den Charm des Orignials zu zerstören. Das hätte auch 1981 so rauskommen dürfen. Kam es aber nicht, Front hatten ja sogar ein ganzes Album aufnehmen wollen, aber mehr als Probeaufnahmen dazu gab es nicht – das Album kam nie. Jedenfalls bis jetzt nicht. Andreas Dorau hat dann aber gegen 2023 bei einem gemeinsamen Abendessen mit den ehemaligen Front-Leuten so halb im Scherz gemeint – es wäre jetzt aber langsam mal an der Zeit, das Album rauszubringen. Und gesagt getan – man hat die alten Probeaufnahmen noch gehabt und die tatsächlich massiv aufbrezeln können und jetzt, 2025, können wir das Album namens „Album“ hören. Das kam bereits im Mai raus und ich hätte es beinahre verpasst. Aber es ist auch nicht ganz so der erwartete Knaller geworden, den man sich erhofft hat. Dieser Remix hier ist gar nicht drauf - aber es gibt immerhin 2, 3 Lieder, die gut sind. Nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger. Ok und damit sind wir mittendrin in… [Tellerrand] und in dieser Stunde gibt es noch - chiptunes vom Gameboy - hochnäsiges britisches Garage mit spoken Words - ausgesprochen innovativen IDM Bass auuuuuus Berlin - ein Dingens, was der Berliner Technoscene zugeschrieben wird - völlig defekte Elektronik Sounds - cinematic musique concrete - Punk, u.a. - grandioser Eggpunk aus Mexiko - traurigen Postpunk, wahrscheinlich aus Berlin - cinematic Postpunk aus den UK - Musik aus dem Herzen des Fediverse - staubtrockene Prärieromantik Und weil uns das alles nicht reicht, spielen wir noch was im Hintergrund, damit es nicht so furchtbar _langweilig_ wird, wenn ich hier so lange rede. Und das ist ein nicht kommerzielles Creative Commons Album, ja [CC] von einem zwar in Bulgarien beheimateten Internetlabel, das aber _weltweit_ operiert und das nennt sich Dusted Wax Kingdom, und das bringt wirklich tolle Sachen raus. Was wir also von diesem Label im Hintergrund hören werden, ist das Projekt - Centz - mini-DV (Album) Und für ein paar Sekunden hören wir jetzt mal rein… [play] Ganz großartige Lofi Triphop Beatz hier – braucht sich NULL vor kommerziellen Releases zu verstecken. Aber jetzt erstmal was ganz anderes. Nämlich direkt aus einem Gameboy von 1989 heraus – hier ist **02. pulu: precipice | ~ [S]** ↑↑↑ Pulu, die kommt aus Helsinki, macht mitnichten nur Gameboy Musik sondern auch ganz handelsübliche DAW Musik, organisiert u.a. auch Super Collider Parties – das ist diese verrückte Programmiersprache, mit der man live Musik programmieren und manipulieren kann. Per Source Code! Das Stück eben hat sie mit dem beliebten Gameboy Musik Tool LSDJ produziert. Warum? Sie schreibt mir dazu, dass sie mit einem Gameboy aufgewachsen ist, Sachen wie Donkey Kong Country 2- und 3 drauf gespielt hat und ihn HEUTE nach wie vor schätzt, weil er einfach das ideale mobile Chiptune Device ist. Das sieht ganz offensichtlich Downhill 2k01 genauso. Ich habe zwar keine Infos zu dessen Track „Stress me out“, der Klang ist aber ohne Frage Gameboy-generiert – und weils gerade so schön war, hören wir uns auch das mal an. **03. Downhill2k01 ft. Toothcutter: Stress Me Out | Stress Me Out [S]** ↑↑↑ Ganz klar ein Gameboy Song, der bisschen nach Look Mum No Computer klingt – aber der hat m.E. damit nichts zu tun - und wahrscheinlich ist das sogar auch ein LSDJ Track, genau wie bei dem Stück von Pulu, was wir vorher hörten – und das ist umso überraschender, weil Downhill2k01 eigentlich aus der Club, Bass Ecke kommt – es ist noch gar nicht lange her, da hörten wir einen klassischen Drum-n-Bass Track von ihm hier in der Sendung. Aber es ist diesem Herrn aus Texas ganz offenbar egal, welches musikalische Terrain er gerade beackert – er macht ganz offensichtlich das, was ihm einfach Spaß macht – und wen interessiert da das Genre. Großartige Einstellung, finde ich. [Alex Chip] Zeit für einen wunderbarer hochnäsigen Garage Track aus den Uk, hier sind... **04. Iglooghost: Slug Song | Bronze Claw Iso [E]** ↑↑↑ Und dieser Iglohost – das ist ein einzelner Typ – eigentlich Seamus Rawles Malliagh – der ist 1996 geboren im Vereinigten Königreich – seit er 18 ist, macht der Londoner Musik und hat seither bereits 5 Alben und 7 Eps rausgebracht. Ja, der ist fleißig. Und sagt mal, ist heute nicht auch [SATURDAY] Also Zeit, den Club Eures Vertrauens heimzusuchen. Und in diesem Sinne wenden wir uns nach Berlin, hier sind **05. Fjaak ft. J. Manuel: Binder | Tectonic Sound (VA)** ↑↑↑ Das ist schon ein verrücktes Ding. Das Album ist eine übrigens absolut lohnenswerte Bass Compilation, die in alle möglichen Ecken abdriftet – ein absoluter Hammer. Kein Wunder, weil das Label Tectonic Recordings aus Bristol seit 2005 beharrlich seinen Fuß in der Dubstep Tür stehen hat – die haben so richtig Ahnung. Um so überraschender, dass der Track den ich dann ausgesucht habe, ausgerechnet der hier von Fjaak ft. J. Manuel ist. Das war mir gar nicht klar, dass das beides Berliner sind. Und als ich dann das Bild von Fjaak gesehen habe, war mir klar, dass ich vor Jahren mal einen Artikel über die im Tagesspiegel gelesen hatte, das wäre die neue Berliner Techno Hoffnung, und dass die schon mal aufm Teufelsberg auflegen und so und ich dachte mir damals... nee – nich meins. Und so ein Quatsch eigentlich. Der Track den wir gerade hörten, überführt mich ja eindeutig der ignoranten Arroganz. Gut, dass ich jetzt wieder wachgerüttelt bin. :) Und es gibt dann noch so jemanden, der zum Teil der Berliner Technoszene zugeschrieben wird. **06. Blawan: NOS | SickElixir (releases October 10, 2025) [A]** [Alex] Und die Sendung, die Ihr hört ist RadioIrrtum, mein Name ist Herr Irrtum. Vor der StationID das war ↑↑↑ . Blawan, eigentlich Jamie Roberts, hat ja prinzipiell erstmal nichts mit Berlin zu tun, stammt er doch aus South Yorkshire. Seit 2010 ist er aktiv und hat es ziemlich schnell zu Ruhm und Ehre gebracht, als er Radioheads Stück „Bloom“ remixte – für die Erinnerung hören wir mal kurz rein, wie das damals klang. [radiohead remix] Inzwischen hat er jede Menge Eps rausgebracht und jetzt also dieses neue Album, was erst am 10.10. erscheinen wird, und, wie gesagt, Sick Elixir heißt. Und da gibt es dann auch den Bezug zu Berlin, denn er hat es hauptsächlich in Berlin aufgenommen, aber auch in Leads, Lissabon und Paris. Im Grunde ist das auch jemand, den musikalische Schubladen nicht wirklich tangieren; manche bezeichnen seinen Stil als „Post Dubstep“, aber dafür braucht es ja auch einige Fantasie. Kleines Appetithäppchen über ihn noch am Schluss. Als 14-Jähriger hat er auf einer Madenzucht-Farm gejobbed. Yep. Und damit sind wir schon über die Hälfte gelangt in dieser Sendung [OMG] aber keine Bange, das heißt, da gibt es noch jede Menge Sachen für Euch, etwa: - völlig defekte Elektronik Sounds - cinematic musique concrete - Punk, u.a. - grandioser Eggpunk aus Mexiko - traurigen Postpunk, wahrscheinlich aus Berlin - cinematic Postpunk aus den UK - Musik aus dem Herzen des Fediverse - staubtrockene Prärieromantik Wenn Ihr denkt, das war jetzt aber schon heftig experimentell, dann wartet mal ab, bis Ihr den folgenden Track gehört habt. Hier ist: **07. enn{kdog: criminal polycule | Unsettling Franchise Reboot [A]** ↑↑↑ enn{kdog – so viel kann ich sagen, stammt aus New York. Und ich glaube schon, er zählt zu den durchgeknallteren Figuren da. Es gibt nämlich einen längeren Begleittext zum Album, und es ist verdammt schwer, da einen Sinn drin zu erkennen, allein weil der Text immer wieder in eine Art seltsame Zeychensprache zerfällt. In den „verständlichen“ Passagen geht es um Pilz-, Algen- und Bakterien Befall, eine 96 jährige Großmutter in einer Wohnung, die ständig sauber gehalten werden muss, Ramsch von einer Black Friday Verkaufsaktion und ein 8 jähriges Kid, was als einziges das Album mag. Letzteres stimmt nicht ganz, denn ich mag enn{kdog’s Album Unsettling Franchise Reboot *zumindest in Teilen* auch – aber macht Euch ansonsten bitte selbst einen Reim auf diese Fragmente. Ihr findet das SELBSTVERSTÄNDLICH nicht auf [Spotify] Lasst uns experimentell bleiben, aber ein bisschen ruhiger und getragener – hier ist **08. claire rousay feat. m sage: just | a little death) [A]** ↑↑↑ Claire Rousay ist eine kanadisch-US-amerikanische Experimental-Musikerin, die sich vor allem in der Disziplin der Musique Concrète verdient gemacht hat. Also dem Musikstil, der sich Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelte und als musikalische Basis Tonbandaufnahmen nutzt, die in verschiedenen Geschwindigkeiten und gern mit diversen Effekten versehen dann neue Musik entstehen lassen, die sich auch als Abgrenzung zu Schönbergs 12Ton-Musik verstanden wissen will. Claire Rousay arbeitet allerdings in der heutigen Zeit weniger mit Tonbandgeräten als mit einem kleinen Zoom Mobilrecorder, mit dem sie alle möglichen Alltagsgeräusche aufnimmt und dann verarbeitet. Und M Sage, ihr Mitstreiter bei diesem Stück, ist ein Musiker aus Colorado, den man am besten als Experimentellen Studiomusiker beschreibt, der im Übrigen schon mal ein ganzes Kammermusikalbum für Rasenmäher aufnimmt. Ja. Für Rasenmäher. Jetzt hat hier ein Hörer angerufen und sich beschwert, das wäre nun alles wirklich zu viel des Guten – aber wir lassen ihn am besten mal selbst zu Wort kommen. Bitterschön. [Dieter] **09. Segundos Auxilios: No voy a chocar | Segundos Auxilios [A]** Sewundou Auuksilius. - No voya zockar ↑↑↑ Die kommen aus Momax, das ist ne kleine süße Stadt in der Mitte von Mexiko, mit 1600 Einwohner:innen und einer kleinen Terme. Da kommen die also her und treten irritierender Weise prinzipiell als Crashtest-Dummys verkleidet auf. Das gesamte Album haben sie mit nur 2 Mikrofonen aufgenommen – und wie wir hören, tut das der Energie keinen Abbruch. Und ich kann Euch nur warnen, jetzt wo Ihr diesen Track der Sewundou Auuksilius gehört habt: Das ist ein unheimlicher Ohrwurm. Vielleicht genau wie der folgende Track auuuuuuus Berlin: **10. Misere: Verschüttet | Misere [A]** ↑↑↑ Und die werden gerade ganz zu recht international gehyped als „Neues Juwel an der Krone des modernen Postpunk“. Als minimalistische Version von X-Mal-Deutschland werden sie bezeichnet (auch da verweise ich auf meine letzte Sendung zu den Ursprüngen der NDW) und das Album als „Der Sound von Berlin 2025“ getagged. Und ja. Ja zu alledem. Misere sind wirklich etwas Besonderes. Und Ihr findet die übrigens NICHT auf [Spotify] [Alex] Wir bleiben bei… [Punk] aber werden soundtechnisch ein ganzes Stück kommerzieller – hier sind: **11. IDLES: Rabbit Run | Caught Stealing - OST [A]** ↑↑↑ Wir hatten vorhin mit Tectonic Recordings ein Label aus Bristol, und jetzt wieder diese Band aus Bristol und was für ein Banger ist das denn? Den Soundtrack zu einem Film haben sie hier gemacht, und da sind einige von solchen Krachern drauf, aber auch das typische reduzierte Zeugs, was im Grunde nur in Zusammenspiel mit der jeweiligen Filmscene Sinn macht. Seit 2009 sind die aktiv, haben erstmal 8 Jahre nur live gespielt, um dann erst, 2017 ihr erstes Album zu produzieren, was dann ordentlich einschlug. Das zweite Album – immer ein bisschen kritischer Moment – war in ihrem Fall kein solcher, sondern ist mal eben auf die Nummer1 der britischen Albumcharts gekommen. Insofern sind sie beileibe keine Unbekannten und der Film, Caught Stealing von Sony Pictures, soll als Dark Commedy zumindest ganz unterhaltsam sein. Na denn. Bei soviel Kommerz müssen wir dringend mal in den Antikommerz gehen – hier kommen aus dem Herzen des dezentralen und tatsächlich _sozialen_ Netzwerk Fediverse ↓↓↓ **12. Dgar ft. Andre Louis: John Mastodon | ~ [S]** ↑↑↑ Dgar ist einer der aktivsten Musikanten im dezentralen Sozialen Netzwerk Fediverse, dessen Aushängeschild gewissermaßen der Kurznachrichtendienst Mastodon ist. Und da gibt es ja die scherzhafte Legende, dass dieser Dienst von einem tatsächlich allerdings fiktiven John Mastodon gegründet wurde. Und genau von dieser LEGENDE handelt dieses Lied. Dgar, der Autor aus Australien hat für dieses Lied Mitstreiter:innen im Fediverse gesucht und ist dabei auf den blinden Synthetik-Drummer Andre Louis gestoßen, der daraufhin die Drums eingespielt hat. Das Ding gibt es NICHT auf [Spotify] – dafür dürft Ihr es kostenlos u.a. auf Bandcamp beziehen und gern weiter verwenden und verarbeiten, sofern Ihr das zum Wohle des Fediverse tut. In dem Zusammenhang ein bisschen Werbung in eigener Sache: Wir (Leute aus der netzpolitischen Scene und auch ich) organisieren vom 3. bis zum 5. Oktober auf der c-nase den zweiten Fediday – eine große internationale Veranstaltung mit vielen Talks und Workshops rund um das Fediverse. Noch sind Karten zu haben. Am Sonntag, den 5.10. wird es sogar auf Alex TV – also hier im Sender – eine Podiumsdiskussion zum Thema Fediverse geben. Schaltet gern zu, wenn Euch das interessiert. Und damit sind wir am Ende _dieser_ Sendung… [OMG] Jaja- Mein Name ist Herr Irrtum! und Ihr findet mich, die Playlist und das Manuskript zu dieser Sendung im freien Netzwerk Fediverse unter… @herr_irrtum@s.basspistol.org Aber einen wunderbaren Track haben wir noch: ↓↓↓ Ein Album wo nicht jeder Song perfekt gelungen ist, aber dieser Opener, der ist wirklich fantastisch. Leider kann ich Euch NULL zu Carlos Dias Oliveira sagen: Nichtmal, wo er herkommt – er veröffentlicht auf einem französischen Label, scheint aber – trotz seines eher spanisch klingenden Namens – aus dem englischen Sprachraum zu stammen, zumindest besagen das Titel auf diesem Album wie „Drinking a Beer, Watching the Sun Go Down“ – aber vielleicht spielt er auch einfach mit Cliches. Also nochmal – jetzt läuft noch ↓↓↓ und ansonsten: Machts gut, gehabt Euch wohl und vielleicht bis zum nächsten Mal im herbstverlaubten Oktober, Euer Herr Irrtum! **13. Carlos Dias Oliveira: Unmarked Grave | Monument (Part III) | [A]**